protokoll einer verweigerten geburt

 

 

nackt und aufgebahrt in erwartung ihrer niederkunft lugt sie über ihr mächtiges gewölbe hinweg. vergeblich reckt sie den hals, der schmerz zieht sie zurück, im inneren herrscht stille.

 

 

sie wartet auf ihre niederkunft, sie wartet auf ein geräusch aus der zelle ihres hohlraums. sie wartet auf ein leises summen, ein brubbeln, ein munteres quieken vielleicht. aus der frisch gefüllten kapsel nur schweigen, endloses schweigen im aufgeblähten hohlraum. ihr schweigen jetzt.

 

 

sie wendet den kopf. sie sieht das rohr. jetzt schnell eine fötuskopie gemacht, bevor auch das letzte schweigen endet. ohne verzögerung stopft sie sich selbst das rohr hinein, krümmt sich über ihre schmerzen, über ihre wölbung hinweg. glotzt in das rohr voll schmerzen. glotzt und fordert das leben heraus. in ihrem angefüllten hohlraum herrscht schweigen. tiefer und tiefer schiebt sie das gerät. hineingechoben in den aufgebrühten saft, hineingeschoben in das lebendige schweigen und weiter gesucht.

 

 

noch tiefer das gerät hineingestopft. ein letztes mal bis zum anschlag nachgedrückt. dort der blasse körper, das lebendige schweigen in sichtweite. jetzt den körper in die hinterste ecke gedrängt und etwas näher herangezoomt. auge an auge, in direkter konfrontation. doch das auge geschlossen, verklebt, kein augendeckel öffnet sich. beharrlich verweigert es den ausblick, den anblick von angesicht zu angesicht. bedrängt und in furcht vor der leere des wollenden auges, dreht es ab, bohrt sich vor, hinein in die hülle des dehnbaren raums.

 

 

entsetzt schnellt sie zurück. das gewölbe wächst, schwillt zu einer riesigen halbkugel an, streckt sie aus, lang hin auf die kalte bahre. keine aussicht über das gewölbe hinweg zu sehen. hilflos wedelt sie mit hängenden armen, schreit mit luftarmer kehle hilfe herbei, das unvermeidbare noch abzuwenden. eine gruppe ahnungsloser, von den trockenen schreien der gebärenden verfolgt, horcht auf, wendet sich wieder ab. doch die schreie haben sich, lauter geworden, bereits in ihren gehörgängen abgesetzt und kreisen dort, zu einem unerträglichen geheul angeschwollen, ununterbrochen umher. kurz entschlossen, die gehörgänge zugedröhnt, rennen sie los, in richtung der quelle des geschreis, um vor ort das pausenlos quäkende maul zu stopfen.

 

 

fassungslos stehen sie vor der bahre, vor der quelle des geschreis. die gebärende noch immer mit den armen rudernd, ihr gesicht unter wachsendem gewölbe kaum sichtbar, schreit sie und schreit. aber sie warten noch. stehen und warten. bis sich dann endlich einer aus der gruppe löst, das fleischige gewölbe mehrmals umrundet, das desaster in vollem umfang erkennt, und, eher aus angst, das geschrei werde niemals enden, spontan seine hand ins glühende gewölbe steckt, bereit das unwillige kind am kopf zu packen. direkt durch den schmalen gang hindurch in die warme höhle hineingegriffen. die finger wühlen im warmen saft und greifen ins leere.

 

 

das kind öffnet die augen, nähert sich langsam der vor ihm auftauchenden suchenden hand, spontan beißt es zu, beißt sich fest, saugt am arm, saugt am unbekannten geschmack. saugt so lange bis es die lust verliert, am fahlschmeckenden fleisch zu lutschen. noch leise rülpsend, blubbernd zieht es davon. hinein und weiter in den sich endlos ausdehnenden raum.

 

 

an der bahre herrscht stille. selbst die gebärende schweigt, horcht in ihre
innere höhle hinein, ununterbrochenes schweigen, unertägliche stille. ein letzter versuch. anwesende reichen ein hörgerät. sie greift danach. reißt es an sich. ihre hände zittern. ihre finger halten zwei schläuche. das bruststück auf ihr gewölbe geworfen, die enden der schläuche in ihre ohren gestopft.

 

 

hören. sie hört. sie hört sich selbst. sie hört das verstärkte rauschen ihres rasenden bluts. sie hört ihre herzschläge. sie will mehr hören als ihre herzschläge. sie will mehr hören als sich selbst. hören, nochmals hören, genauer hinhören, genauer in sich hineinhören, aus ihren tönen die anderen heraushören. wieder ihr herz, dahinter leise töne, im hintergrund leise herztöne, zarte herzfrequenz hinter dumpfen schlägen. dann setzt es aus, das herz dreht ab, dann wieder das eigenrauschen, starke töne, dröhnendes herzwerk.

 

 

dann wieder schweigen. im angefüllten hohlraum herrscht schweigen. die gebärende vermißt den geburtsschrei, den auftakt neuen lebens, stattdessen dieses schweigen, niemals endendes schweigen, nur der nachklang verschwundener herztöne, in der geburtsstätte, todesstätte. der schädel unter der decke ein totenkopf mit herz. kein geschrei. bewegungen bleiben aus. stille. herzzerreißen.